Statement zur Diskussionsveranstaltung „Repression, Solidarität und sexualisierte Gewalt“ vom 3. April 2022

Outcalls wie der von Johannes D.¹, einem Beschuldigten im Antifa-Ost-Verfahren, zeigen uns regelmäßig wie real sexualisierte Gewalt auch in linken Strukturen ist und wie viel Praxis und Wissen uns im Umgang damit fehlt. Noch schwieriger wird es, wenn wie in diesem Fall die Bedrohung durch staatliche Repression eine Rolle spielt. 
Um sich zu diesen Schwierigkeiten auszutauschen und eine Perspektive zu antisexistischer Antirepressionsarbeit zu entwickeln, fand am 3. April eine Diskussionsveranstaltung im AZ Conni unter dem Titel „Repression, Solidarität und sexualisierte Gewalt“² statt. Wir möchten den Organisator*innen dafür danken, dass sie diese Veranstaltung organisiert und einen offenen Diskurs dazu in Dresden angestoßen haben. Wir möchten daran anknüpfen und ihn fortsetzen, indem wir in diesem Text die Betroffenenperspektive stark machen. Denn diese ist unserer Meinung nach in der offenen Diskussion zu kurz gekommen.
Relativ ausführlich wurde über das Spannungsverhältnis zwischen Transparenz über ausgeübte Gewalt durch Personen die Solidarität wegen Repression erfahren, und eine damit einhergehende Steigerung des Repressionsrisikos gesprochen. Also: Wenn wir darüber reden wer, wie, wo und wann gewalttätig war, und wer aus den Strukturen davon wusste, dann nützt das den Repressionsorganen. Aber, wer über das Risiko der Repression durch den Staat spricht, der muss auch über das Risiko für FLINTA*s sprechen, innerhalb linker Strukturen sexualisierte Gewalt zu erfahren. Um darauf zu reagieren, wurde der schöne Begriff der kritischen Solidarität genannt, der nicht meint, in jedem Fall von Fehlverhalten die Solidarität zu entziehen, aber auch nicht so zu tun, als wenn alle von Repression Betroffenen Held*innen wären.
So weit so gut. Wer hier noch nicht wirklich vorgekommen ist, sind die im konkreten Fall Betroffenen. Für diese geht Transparenz oder Öffentlichkeit zu der ihnen gegenüber ausgeübten Gewalt oft mit negativen Folgen einher. Sie werden zum Ziel von Schuldzuweisungen hinsichtlich der Tat selbst oder der Folgen ihres Bekanntwerdens, von „Täter-Opfer-Umkehr“ oder sie werden ungewollt mit dem Thema konfrontiert. Auch Anonymisierung kann das nicht sicher ausschließen. Die  Frage nach Transparenz und ihrem Ausmaß, ob in der Politgruppe oder über Indymedia, sollte zuerst an die Betroffenen gerichtet werden, denn sie greift immens in ihre Rechte und ihre Privatheit ein.
In unserer Wahrnehmung ging es während der Diskussion zumeist um die Reaktion auf die gewaltausübende Person, und wie die weitere Solidarität mit ihr aussehen kann. Das ist auch eine wichtige Frage, weil wir uns damit Handlungsoptionen zwischen Nichtstun und Ausschluss erarbeiten. Für einen emanzipatorischen Umgang können wir unseren Handeln aber nicht nur an der gewaltausübenden Person ausrichten. Eigentlich hätte der zweite Themenblock zu „Solidaritätsarbeit & Betroffenenarbeit“ diese Tür öffnen können. Allerdings ging er in der regen Diskussion unter, und das wird nicht unbedingt zufällig passiert sein. Denn unser Denken ist durch das Strafrecht geprägt, das als Reaktion auf begangenes Unrecht grundsätzlich zuerst die „Täter“ adressiert. Dem möchten wir das Konzept der Betroffenenzentriertheit entgegen setzen. Denn Unrecht und Gewalt werden nicht dadurch „ausgeglichen“, dass wir uns mit denjenigen Menschen beschäftigen, die sie ausgeübt haben. Gewalt wird von Menschen erlebt. Sie passiert unseren Freund*innen, unseren Genoss*innen. Unsere erste Reaktion, auf das Wissen über sexualisierte Gewalt in unseren Strukturen müssen Fragen sein wie: Wie geht es den Betroffenen? Möchten sie mit uns reden? Können wir helfen? Gibt es Bedürfnisse, an denen wir unser Handeln ausrichten können? 
Diese können vielfältig sein, und nicht immer kann sofort formuliert werden, was für Bedürfnisse bestehen und wie sich verhalten werden kann. Ein Aspekt von Betroffenenzentriertheit kann sein, hier verständnisvoll und geduldig zu sein, ohne die Bereitschaft zum Zuhören aufzugeben. Informiert euch in euren Strukturen und Freund*innenkreisen dazu, und überlegt euch, wie ihr selbst Betroffene unterstützen könnt. 
Auch wenn ihr die betroffenen Personen nicht kennt, oder noch nicht einmal wisst um wen es geht – Versetzt euch in deren Perspektive und fragt euch welche Auswirkung euer Handeln und Sprechen hat.
Zuletzt ist uns noch ein Punkt sehr wichtig: Betroffene sind nicht verantwortlich dafür, wenn Antireparbeit durch das Bekanntwerden von sexualisierter Gewalt komplizierter wird! Die Verantwortung dafür liegt bei der gewaltausübenden Person, bei dem Umfeld und der Gesellschaft, die das möglich gemacht hat.

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